Barrierefreie Typografie – Mobil. Eine App für barrierefreies Design
Im Seminar Typografie und Layout haben Studierende des Masterstudiengangs „Informationsdesign und Medienmanagement“ der Hochschule Merseburg ausgewählte Open Source Schriften und Systemschriften auf ihre Tauglichkeit für barrierefreies Design auf mobilen Endgeräten untersucht.
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Zur Analyse der Lesbarkeit der Fonts wurden verschiedene Kriterien herangezogen, die aus der Norm DIN 1450 abgeleitet wurden. Einen Überblick über die Analysekriterien bietet die App „Barrierefreie Typografie – Mobil“ in Form von leicht verständlichen Grafiken und Schriftbildern, die der Nutzer der App selbst dynamisieren kann. Die App ist als Einstieg in das hochkomplexe Themengebiet der responsiven Typografie für kleine Displays für den barrierefreien Einsatz konzipiert worden. Ihr Ziel besteht darin, Nutzer mit Basiswissen auszustatten, um Entscheidungsfähigkeit und einen interdisziplinären Diskurs zu ermöglichen:
- Für das Lesen auf kleinen Displays eignen sich Fonts mit schlanken (nicht condensed geschnittenen), schnörkellosen Glyphen.
- Eine gute Leserlichkeit wird durch eine große x-Höhe unterstützt, die in einem ausgewogenen Verhältnis zu den Ober- und Unterlängen der Glyphen steht.
- Die Oberlänge überschreitet die Versalhöhe.
- Der Schriftschnitt der Glyphen differenziert Details sorgsam, um dem Crowding Effect, der bei kritischen Zeichenkombinationen zum Verwechseln von Zeichen führt,
- Klare, geöffnete Punzen verhindern das optische „Zusammenlaufen“ kleiner Binnenräume wie im gemeinen e und a.
- Eine angemessene, nicht zu enge Laufweite in Verbindung mit den entsprechenden Zeichenabständen und dem optimalen Zeilenabstand unterstützen die Augen sowohl bei den für das Lesen nötigen Blicksprüngen als auch beim Zeilensprung.
- Eine ausgewogene Strichstärke und ein sanfter Strichstärkenkontrast sorgen für einen guten Grauwert der Schrift und gute Leserlichkeit.
Die Studierenden haben die visuellen Qualitäten frei gewählter Open-Source Fonts mit den Merkmalen ausgewählter Systemschriften wie den Android-Systemschriften Droid Sans und Droid Serif sowie mit häufig im Web verwendeten Fonts wie Verdana und Arial verglichen. Die für barrierefreies Design evaluierte Schrift Open Sans (vgl. Rohde/Stechert 2016) diente für die vergleichende Analyse als Referenzgröße, die Arial als Nullgröße. Die Analyse wurde anhand eines Kriterienkatalogs durchgeführt, der sich barrierefreies Lesen an mobilen Endgeräten zum Maßstab gesetzt hat.
Um die Schriften einem visuellen Vergleich unterziehen zu können, hat sich der Masterstudent Marco Geue mit dem aktuellen, technischen Stand responsiver (Web-)Typografie auseinandergesetzt und zudem untersucht, welche Möglichkeiten es im Bereich der Nutzeranpassung von Schrift im responsiven Design gibt. Im Ergebnis dessen konzipierte Marco Geue eine App und setzte seine Ideen auf Basis des Javascript-Frameworks jQuery-Mobile als mobile Web-App selbst um.
Ihre Anwendung macht allen Nutzern schnell klar, wo die neuen Herausforderungen responsiven barrierefreien Designs liegen. Anders als im Printbereich erleben Leser im Kontext der zunehmenden Nutzung von Smartphones, Tablets und E-Readern visuelle Überraschungen. Zwar sind mobile Endgeräte nun wirklich nichts Neues mehr, gut umgesetzte Typografie ist jedoch auf diesen Geräten immer noch keine Normalität. Denn, wie man beim Benutzen der App erlebt: Schrift bewegt sich jetzt!
Und das bedeutet nicht nur, dass Wörter in die nächste Zeile „hoppeln“, wenn der Viewport zu klein wird. Nein, ein und dasselbe Wort sieht auf dem einen Smartphone anders aus als auf dem anderen und auch jeder Browser verändert das Schriftbild!
Weil die zu berücksichtigenden Faktoren beim Entwickeln mobiler Anwendungen in Bezug auf die Typografie so vielfaltig sind, gibt es derzeit einen Trend zu mehr Anpassungsmöglichkeiten, die der Nutzer selbst vornehmen kann. Egal, ob es sich um Add-Ons von Browsern, Schrifteinstellungen in Android- oder iOS-Geräten oder um die vielfältigen typografischen Einstellungsmöglichkeiten von E-Readern handelt, in allen Bereichen versuchen Entwickler dem Leser ein immer individuelleres Leseerlebnis zu ermöglichen.
Auch die App „Barrierefreie Typografie – Mobil“ von Marco Geue beinhaltet Features zur Nutzeranpassung. Dabei sind die Bedienelemente der App so designt worden, dass eine barrierefreie Bedienung möglich ist. Die Schaltflächen zur Schriftgrößenanpassung wurden auf zwei Buttons für „größer“ und „kleiner“ reduziert und extra groß gestaltet. Zum besseren Verständnis der Navigationselemente wurden Icons mit eindeutigen Symbolen eingefügt. Für alle Testschriften liegt ein Blindtext in Leichter Sprache vor. Beim Verändern der Schriftgröße verändert sich jeweils der Zeilenabstand. So bleibt das vom Netzwerk für Leichte Sprache gewünschte Verhältnis von Schriftgröße zu Zeilenabstand (vgl. BMAS 2014) immer erhalten. „Barrierefreie Typografie – Mobil“ macht kurz und knapp mit Analysekriterien für barrierefreie Web-Typografie vertraut und responsives Design für jeden erlebbar. Bewerten muss der Nutzer die Fonts für seinen jeweiligen Einsatz selbst. Wenn die App ihr Ziel erreicht, Menschen zu befähigen, fundierte Schrift-Entscheidungen zu treffen, können sie das nun deutlich besser leisten. Die App der .Hochschule Merseburg ermöglicht allen Menschen Leseerfahrungen zu sammeln, deren Ergebnis sicher zu Diskussionen anregen wird. Denn ganz gleich welchen Font man wählt, der Beispieltext in Leichter Sprache verändert sein Gesicht im liquiden Layout erheblich!
Quellen:
BMAS (2014): Leichte Sprache. Ein Ratgeber.
URL: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a752-ratgeber-leichte-sprache.pdf?__blob=publicationFile(letzter Zugriff: 16.1.2018).
DIN 1450 (2013): Schriften – Leserlichkeit. Berlin: Beuth.
Veronika Rohde, Lisa Stechert (2016): Leichte Sprache und Typografie. Ein Usability-Test zur Erkennbarkeit und Lesbarkeit ausgewählter Schriftarten. Seminararbeit, Hochschule Merseburg.
Projektdaten
Autoren | Prof. Kerstin Alexander, Marco Geute |
Lehrveranstaltung: | Typografie und Layout |
Zeitraum: | Wintersemester 2017/ 2018 |